Donnerstag, 2. Mai 2013

Wenn alle Brünnlein fließen...

Liebe Blogleser,

frei nach Heinz Erhardt kann ich euch berichten, dass mich die Muse geküsst hat. Woran ich das merke? Nun ja, erstens schreibe ich seit langer Zeit wieder Blog und - viel wichtiger - ich werde ganz feucht auf meiner Stirn. Vor allem letzteres kann auch andere Gründe haben. Zum Beispiel könnte es sein, dass ich einfach nicht aus meinem großen Bierglas trinken kann und mir das Wasser (!) ständig auf die Stirn läuft. Oder es wäre möglich, dass unsere achso tolle Klospülung, die durchläuft, wenn man nicht aufpasst, auf einmal so stark los legt, dass sie sogar nach oben spritzt. Oder nicht zuletzt besteht auch die Möglichkeit, dass hier schlichtweg der Sommer eingekehrt ist und ich außerhalb von klimatisierten Räumen ganze Musenschwärme um mich habe, die mir die Stirn abschl.... ich meine natürlich befeuchten.
Ich könnte jetzt viel berichten von Stress und Freude an der Uni, welche so nah wie Freud und Leid beieinander liegen, oder von dem Marathon an Feier- und Gedenktagen, die unseren Alltag wie einen Schweizer Käse aussehen lassen oder von der allmählich sich einstellenden Panik, weil die Zeit davonrast. Letztendlich ist alles veraltet und sozusagen kalter Kaffee, wenn man mal davon absieht, dass die Hitze gerade keinen kalten Kaffee zulässt. Aber ich glaube, ich beschränke mich auf zwei Alltagserzählungen, die wieder für die Liebenswürdigkeit und die Verrücktheit dieser Stadt sprechen und nebenbei noch ein paar witzige Einblicke in die Mentalität der Israelis geben.
Gestern ging ich auf den Markt einkaufen. Dazu muss man sagen, dass ich dafür entweder zu Fuß 15 Minuten der Jaffostraße entlang flaniere oder ebenso 15 Minuten mit der Straßenbahn fahre (die Gesamtzeit ergibt sich aus Warte- und Fahrtzeit). Vielleicht habe ich schon erwähnt, dass es hier gerade ziemlich warm ist. Falls nicht: Es ist gerade ziemlich warm und jeder tut gut daran, sich jeden unnötigen Meter zu sparen, also bin ich gestern im mobilen Kühlschrank meine 15 Minuten auf den Markt gefahren. Eingekauft war alles ziemlich schnell, schließlich will man mit Milch und Eiern nicht mehr Zeit als nötig zwischen dem Kühlregal und dem Kühlschrank verbringen. Um die Kühlkette mehr oder weniger geschlossen zu halten bin ich auch mit der Straßenbahn wieder zurück gefahren. Wie immer ballte sich die Menschenmasse an der Tür, obwohl es in den Gängen noch genügend Platz gegeben hätte. Etwas abgelenkt von Rammbock-Kinderwägen, die ganz automatisch die Menschenmasse in die Bahn hineingeschoben haben, entdeckte ich genau vor mir einen orthodoxen Juden, der mit ein paar Kärtchen und einem schwarzen Stift hantierte. "Nun", dachte ich, "der wird bestimmt sich irgendwas Wichtiges aufschreiben, damit er es nicht vergisst." Nach und nach schienen mir aber die Bewegungen selbst für Hebräisch etwas zu schwungvoll, bis ich bemerkte, dass der gute Mann malt. Um irgendwelche Gespinnste, was er wohl malt, einfach mal abzukürzen, komme ich gleich zum Ergebnis: Er malte einen jungen, gutaussehenden Herrn, der im Moment Kurzhaarschnitt trägt, seit einer Woche ein bisschen Flaum im Gesicht hat, eine Brille trägt und auch ansonsten eine blendende Erscheinung abgibt. Tipps, auf wen diese Beschreibung passen könnte, können gerne per Mail an mich abgegeben werden. Der Gezeichnete hat sein Portrait natürlich gratis mit nach Hause bekommen.
Die zweite Geschichte könnte man umschreiben mit: "Wenn der Tag so anfängt,...". Montagmorgen diese Woche, ca. 8.23 Uhr. Kaffee am Morgen wird in seiner Wirkung völlig überschätzt. In einem grün-weißen Egged-Linienbus steigt der Adrenalinspiegel in unermessliche Höhen und der Begriff "Höllenfahrt" wird mit noch vorhandenem Leben gefüllt. Jeden Morgen liefe es super, wenn ja wenn doch da nicht diese unglückselige Kreuzung kurz vor Fahrtende wäre. Für alle Jerusalem-Kundigen: Ich spreche von der Kreuzung Aharon Kazir Street - University Boulevard (der nach Jericho führt). Morgens halb neun in Jerusalem fängt der Sprachkurs an und umso blöder, wenn man 8.23 Uhr an dieser Kreuzung steht und die lieben vorüberfahrenden Landsleute ihr Gemüt nicht im Griff haben. Klar, grüne Ampeln sind zum Passieren da. Aber auch andere Leute, die später grün haben, möchten eigentlich auch die Kreuzung passieren und nicht auf eine riesige Blechkarawane blicken, die mitten auf der Kreuzung steht und mit der folgenden Grünphase weiteren Zuwachs erwartet. So vergingen drei Ampelphasen, ohne dass sich großartig etwas an der Position des Busses an der Ampel geändert hätte, wie auch, davor standen ja überall Autos. Zum Glück saß ich am Fenster andernfalls hätte ich wohl folgende Gelegenheit nie zum Erzählen gehabt: Eine junge Frau in ihrem roten Auto drückt bei der vierten Ampelphase nicht nur auf die Tube, sondern auch auf die Hupe. Während sie schimpfend und mittlerweile im Gesicht so rot wie ihr Auto mit einer Hand am Steuer und mit der anderen auf der Hupe einfach einmal auf die Blechlawine zufuhr, riss auf wundersame Art und Weise doch für sie eine Lücke auf, die sie natürlich immer noch hupend auch für sich nutzte. Spätestens das war der Moment, in dem ich beschloss, eines Tages ein Buch über Erlebnisse im israelischen Straßenverkehr zu schreiben - ein Bestseller wird das!
Achso ja, das Ende der Geschichte... Das ist weniger erfreulich, denn der Bus brauchte noch einmal eine Ampelphase länger und ich kam natürlich zu spät in den Sprachkurs...

So, dieses Mal gab es jede Menge Text, aber mit diesen kleinen, knackigen Stories aus einem verrückten Leben in diesem Land, habe ich euch hoffentlich mehr unterhalten als mit harten Fakten zum Unabhängigkeitstag und Studententag...
Ein schönes Wochenende euch und viele hitzige Grüße aus Jerusalem,
euer Martin

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen