Dienstag, 20. November 2012

Quo vadis?


Liebe Blogleser,

bevor ich an meiner Mini-Dokusoap über meinen Alltag fortfahre, will ich euch einen Einblick geben, wie ich gerade in Israel die Lage erfahre und vielleicht auch so manchen deutschen Medienbericht um das ein oder andere ergänzen. 
Achtung Minen: Spuren aus der Geschichte des Staates Israels im Golan
Schaut man auf die Straßen Jerusalems erkennt man kaum, dass nur ca. 80 km weiter südwestlich in der palästinensischen Bevölkerung und in der israelischen Bevölkerung das Leid steigt. Die Straßen hier sind nicht weniger oder mehr von Männern und Frauen in Olivgrün bevölkert, die Maschinengewehre werden von manchen wie vor dem Krieg an der Leine ausgeführt und als westlich aussehender Mensch kommt man immer noch leicht durch die Kontrollen, die es auch schon vorher überall gab. Wenn man nicht darauf achten würde, würde es einem kaum auffallen, dass statt zwei eben vier Polizisten an jedem Eingang des Marktes stehen, dass fast bei jeder Fahrt in der Straßenbahn die Sicherheitsbediensteten einen Durchgang machen und dass die Menschen etwas nervöser sind, wenn dort eine Tasche oder ein Rucksack nicht eindeutig zugeordnet werden kann. Offenbar hat diese Stadt gelernt, nach Schocks sich schnell zu schütteln und dem gewöhnlichen Alltag nachzugehen.
Der Schock selber war Freitagnachmittag um 16.30 Uhr als in manchen Stadtteilen Jerusalems die Sirenen aufheulten, die eine Rakete ankündigen. Dass Raketen im Besitz der Hamas sein könnten, die auch Tel Aviv erreichen könnten, war bekannt, dass die Hamas aber das Risiko eingehen würde, auf Jerusalem zu feuern und damit auch andere Palästinenser zu gefährden, dachten nicht viele. Letztendlich war alles halb so wild, weil die Rakete ca. 25 km entfernt von Jerussalem einschlug. Was die deutschen Medien meist nicht weiter erwähnen, ist, dass die Raketen, die die Hamas zum Großteil selbst bastelt, keine wirkliche verheerende Wirkung haben. Wenn sie ein Gebäude treffen, zerstören sie häufig nur den getroffenen Raum und Menschen in ihrer Nähe werden, wenn sie in unmittelbarer Nähe sind, verletzt, aber selten getötet. 

Ein Landungssteg mitten im See ohne Verbindung zum Land: Auf seine
Art und Weise ein Sinnbild für die Situation jetzt. Wer stellt den Übergang
zum sicheren Festland her?
So, das war der journalistische Teil. Ich selbst bin wohlauf und gehe ganz im Jerusalemer Geist meinen Alltagsgeschäften nach. Wie ihr alle, saßen wir am Freitag, während hier die Sirenen heulten, nicht in Jerusalem. Unsere erste Exkursion führte uns nach Galiläa im Norden Israels, wo kein Mensch sich über Raketen aus dem Gazastreifen Sorgen machen muss, weil man viel zu weit davon entfernt ist. Mit internetfähigen Handys hielten wir uns auf dem neusten Stand und Gespräche mit unserem Studienleiter Martin halfen uns, die Lage richtig einzuordnen. Auch jetzt wieder zurück in Jerusalem sind wir vom Programm und von der Uni mit genügend Informationen versorgt, dass wir uns sicher fühlen können und ihr euch zuhause um uns keine Sorgen machen braucht. Ich für meinen Teil denke, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch wieder in und um Gaza herum Ruhe einkehrt. Nur so könnten alle Beteiligten größeren Schaden vermeiden und ihr Gesicht wahren. Ob hier Politik tatsächlich so rational gemacht wird, steht wieder auf einem anderen Blatt. 
Geöffnete Türen für den Frieden?
Im Moment wird von über 100 Todesopfern innerhalb von nur einer Woche gesprochen und ich selber stelle mir die Frage, wie viele Menschen noch sterben müssen, bis beide Seiten erkennen, dass in dieser Gewalt nicht der Schlüssel zum Frieden liegt. Manche Israelis in Gazastreifennähe versprechen sich davon wieder ein paar Monate Ruhe vor Raketenangriffen. Und nach diesen Monaten? Sollen wieder hundert Menschen dafür sterben müssen, damit es die nächsten Monate ruhig ist? Aus der anderen Perspektive: Müssen wirklich pro Tag über hundert Raketen fliegen, die bewusst die Zivilbevölkerung zum Ziel haben, um ein Ende der Blockade zu erreichen? Müssen wirklich ganze Städte stundenlang in Schutzräumen bleiben und Angst haben, nur dass jemand sein Ziel erreicht? - Man kann aus der Situation lernen, dass in diesen Tagen keine Antwort einfach ist und dass die Spirale der Gewalt verlockender ist als gemeinsame Verhandlungen. 
Ein Bericht über die Exkursion wäre, glaube ich, der Sache nicht angemessen, deshalb lasse ich es aus diesem Eintrag heraus und lasse spätestens zum Wochenende etwas dazu folgen. Wenn ihr etwas für das Land und seine Menschen tun wollt, dann denkt im Gebet an die verzwickte Situation hier und daran, dass die Regierungen der beiden Völker einen Weg finden, der nicht mehr unschuldige Zivilisten das Leben kostet und in Angst versetzt.

Euer,
Martin

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