Samstag, 8. September 2012

Empfangt die Braut!

Liebe Blogleser,

während in Deutschland wahrscheinlich allmählich der Altweibersommer Einzug hält, sengt uns hier immer noch täglich die Sonne die noch vorhandenen Haare an. Wenn es dann Abend wird kühlt es sich inzwischen aber schon stärker ab, so dass zumindest dann ein Hauch von Herbst im Anflug ist. Wie eine Kommilitonin vergangenen Sonntag beim Empfang nach der Einsetzung des neuen evangelischen Propstes in Jerusalem sagte: "Hier klappt das irgendwie nicht so mit dem Wetter-Smalltalk. In Deutschland könnte man sagen: 'Ach, ist das toll, dass das Wetter heute so gut mitmacht.'" Hier ist es aber zumindest momentan überhaupt nichts Besonderes.

Hinter mir liegt eine volle Woche, die gestern von einem Synagogenbesuch zum Sabbatbeginn abgerundet wurde. Der Synagogenbesuch wurde von Ophir, unserem Lehrer, der uns in jüdischer Liturgie unterrichtet, organisiert und wir erhielten vorher noch eine halbstündige Einführung zu diesem Synagogengottesdienst. Den Gottesdienst, den wir mitfeiern durften, muss man sich anders vorstellen als einen christlichen Gottesdienst. Meistens ist der Synagogengottesdienst lauter als der Sonntagsgottesdienst. Laut wird es besonders da, wo es im christlichen Gottesdienst leise wird: beim Gebet. Der Gottesdienstleiter macht den Anfang und jeder einzelne betet in seinem Tempo laut oder manchmal auch leise weiter. Derjenige, der fertig ist, setzt sich einfach wieder hin. Stellt man sich das mal für das Vaterunser vor... Ein weiterer Unterschied ist das Singen. Ohne Begleitinstrument werden Stellen aus dem Alten Testament oder aus der reichen jüdischen Traditionsliteratur gesungen; dazu wird geklatscht, auf den Nachbarstuhl geklopft oder auch getanzt. Damit kommt richtig Stimmung auf, wobei die Fröhlichkeit auch dem Anlass angemessen ist: Der Synagogengottesdienst am Freitagabend ist der "Empfangsgottesdienst für den Sabbat". Sabbat wird im Judentum als eine Braut gedacht, die an diesem Abend zu der Gemeinde kommt. Ophir erzählte uns dazu eine Geschichte (Zitat von Ophirs Tochter: "Abba, did you tell them this stupid story?"). Die Frau Sabbat kommt zu Gott und beschwert sich, dass jeder Wochentag einen Partner hat. Der Sonntag habe den Montag, der Dienstag den Mittwoch und der Donnerstag den Freitag - nur sie sei alleine, sagte sie. Daraufhin sagte Gott: "Dein Bräutigam ist das Volk Israel." - und seitdem empfängt das Volk Israel seine Braut jeden Freitagabend.
Für mich war beeindruckend, wie lebendig und fröhlich es in diesem Gottesdienst zuging. Wir Deutsche wurden alle freundlich begrüßt und von einzelnen Sitznachbarn stellenweise auch in der etwas komplizierten Liturgie unterstützt.

Blick auf den Ölberg mit Himmelfahrtskirche. Eines von vielen Dingen, die
ich bald hier erkunden möchte.
Nun bin ich schon über einen Monat in diesem Land und in Jerusalem, was natürlich die Gelegenheit bietet, ein kleines Fazit für den Anfang zu ziehen: Ja, ich bin hier angekommen. In der jüdischen Neustadt kenne ich mich immer besser aus und auch in der Altstadt erschließt sich nach und nach so manches Gässchen mit seinen Läden für mich. Mein Hebräisch macht deutliche Fortschritte, was man immer wieder in kleinen Alltagssituationen merkt. Dass es noch nicht genug ist, was man auch immer wieder merkt, brauche ich eigentlich nicht sagen. Durch den Stress mit dem Sprachkurs habe ich bisher Jerusalem aber noch nicht so entdecken können, wie ich es gerne würde. Wenn am 23. September dann das Schlussexamen des Sprachkurses überstanden ist, wird genügend Zeit da sein, um auch das ein oder andere ausführlicher zu besichtigen.

So viel für heute. Das nächste Mal gibt es hoffentlich dann auch wieder neue Bilder. Ich wünsche euch morgen einen schönen Sonntag und eine gute Woche.
Herzliche Grüße aus Jerusalem,
euer
Martin

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