Liebe Blogleser,
endlich ist es soweit - nein, der VfB Stuttgart hat noch nicht seinen ersten Saisonsieg eingefahren. Das wäre allmählich einen extra Blogeintrag würdig. Vielmehr ist es soweit, dass mein Alltag hier unterbrochen wurde. Während bisher meist nur die Frage war, ob jetzt freitags der Sprachkurs stattfindet oder nicht, war die letzten Tage die Frage: Was sollen wir mit dieser überschüssigen Zeit machen? Seit vergangenem Freitag bis morgen haben wir von der Uni, sozusagen Neujahrsferien.
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Blick aus der Propstei auf die Grabeskirche |
Wie ihr vielleicht wisst, beginnt im Judentum das neue Jahr im Herbst. Weil die Juden vor mehreren Jahrhunderten es sich durch Zurückrechnen so erklärt haben, schreiben wir seit gestern Abend das Jahr 5773 nach Erschaffung der Welt. Im Gegensatz zu Europa, wo es am Neujahrsvorabend überall kracht und leuchtet, kehrt hier die Stille ein - sogar beim Bumm-Bumm-Restaurant unten. Rosch Haschana findet, wie viele jüdische Feste, im Kreise der Lieben statt und man trifft um 21 Uhr abends fast nur noch die Menschen, die ebenfalls von der Synagoge auf dem Weg nach Hause sind. Mich selbst verschlug es gestern Abend in die große Synagoge hier in Jerusalem, die im Männerteil brechend voll war. Geschätzte mindestens 500 Männer saßen da und lauschten dem Männerchor, der die Gottesdienstbesucher mit in das neue Jahr nahm.
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Ein etwas anderer Blick auf die Dächer Jerusalems |
Allgemein kam auch schon die ganze letzte Woche Abwechslung in den Alltag. Am Dienstag startete in der Propstei der Erlöserkirche ein kleiner Projektchor, um im November die Eröffnung der Ausgrabungen unter der Erlöserkirche zu untermalen. Klaus Schulten, ein Kirchenmusiker aus Deutschland, hat die Leitung in die Hand genommen. Am Donnerstagnachmittag wollten wir unsere zumindest zeitweilig wiedererlangte Freiheit vom Sprachkurs in einem kleinen Park verinnerlichen. Leider wurde ich schon von der Anreise zu diesem Park etwas traumatisiert: Wir fuhren mit der noch relativ neuen Straßenbahn in Jerusalem bis nach Nachlaot, einem Stadtteil der jüdischen Neustadt und irgendwann stieg sowohl ein älterer Herr, als auch eine junge Frau mit ihrem kleinen Jungen ein. Da ich relativ nahe bei der Tür saß, stand ich für den Herrn auf und stellte mich in den Gang. In der Zwischenzeit war der kleine Junge auf den freien Platz gegenüber gestürmt und kletterte darauf. Dort saß er mit großen Augen und schaute mich an. Irgendwann, als ich ihn auch anschaute, überwand er sich und fragte mich mit heller Stimme auf Hebräisch: "Willst du dich setzen?" Natürlich brüllte die ganze Straßenbahn vor Lachen. Abends erklärte dann unser Studienleiter Martin Vahrenhorst Göttinger Studierenden, die in Jerusalem auf Besuch waren und mehr aus erster Hand über unser Programm erfahren wollten, dass die Menschen oft erwachsener nach Deutschland zurückkehrten als sie kamen. Sorry, aber so erwachsen will ich dann doch nicht sein, dass schon Kinder für mich aufstehen!
Am Freitagabend machten wir uns einmal wieder auf in die Altstadt zum gemütlichen Beisammensein. Von größeren Protesten, wie in vielen anderen Teilen der arabischen Welt, war nichts zu spüren und im Moment deutet auch nicht wirklich etwas darauf hin.
So viel für heute. Nächsten Sonntag schreiben wir die Abschlussklausur für unseren Sprachkurs und in der Woche danach beginnt unser Blogseminar (gemeint ist natürlich Blockseminar :-) ) mit Prof. Blum aus Tübingen. Auch wenn die Tage weiterhin voll sind, wird es langsam ruhiger.
Herzliche Grüße aus Jerusalem, macht's gut,
euer,
Martin
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